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Dienstag, 26. Mai 2015

Evo Morales

Oder: "La caballería de Joana de Azurduy y Manuel Ascencio Padilla"

Mittwoch, der 20.05.2015
Kurz vor Unterrichtsende kommt der Hausmeister in den Computer-Raum und meint, wir sollen die Computer ausmachen, es gäbe eine Verkündung durch den Direktor.
Alle begeben sich auf den Schulhof und stellen sich wie gewohnt in Reihen nach Klassen auf.
Dann beginnt der Direktor: "Guten Mittag, gerade habe ich erfahren, dass wir morgen Besuch bekommen. Der Präsident Juan Evo Morales Ayma kommt morgen gegen 10 Uhr nach El Villar." - Wie bitte? Alle schauen sich verwirrt an. "Der Präsident des Plurinationalen Staates von Bolivien kommt uns morgen besuchen, bitte räumt heute nachmittag die Straßen rund um die Schule auf und seid morgen alle schön angezogen da."

Meine Mitfreiwilligen Tina, Marie und ich schauen uns an. Wir sind... leicht überrascht. Aber hey, Spontaneität ist eben auch eine herausragende Eigenschaft der Bolivianer.

Den ganzen nachmittag wird in El Villar aufgeräumt, Jugendliche üben einen Tanz ein und gegen 17 Uhr nachmittags kommen auf einmal fünf LKWs voll mit Soldaten an - alle Mädchen zwischen 8 und 20 sind leicht aus dem Häuschen.

Notiz am Rande: Während ich in Deutschland großen Respekt, manchmal auch ein bisschen Angst vor Polizei und Soldaten habe, kann man eben diese hier in Bolivien nicht wirklich Ernst nehmen. Sie haben zwar auch sehr große Macht, aber mit einer gewissen Menge an Kleingeld kommt man aus jeder Situation wieder raus und was ihre Reaktion uns "Chocas" gegenüber angeht sind die männlichen Soldaten nicht anders als andere bolivianische Männer: "Ooooh, hey Hübsche! Wow, wie schön du bist!...", und an Pfiffen wird auch nicht gespart. Aber nun ja.

Donnerstag, 21.05.2015
Der Tag des Besuches des Präsidenten.

Morgens wird weiter aufgeräumt und aufgebaut. Im Laufe des Vormittags füllt sich das Dorf weiter, neben den knapp 120 angereisten Soldaten kommen auch immer mehr Bauarbeiter der Gas-Gesellschaft, die Gas in alle Häuser verlegt haben - Evo kommt um "das Gas einzuweihen".

Alle sind aufgefordert, ihr Häuser mit den Flaggen von Bolivien (Rot, Gelb, Grün) und El Villar (Rot, Weiß, Grün) zu schmücken - ein schönes Bild.
Pünktlich um 10 Uhr steht die gesamte Grundschule und auch viele andere Leute in der Straße, wo das Spektakel stattfinden soll. - Doch Evo kommt nicht.
Es heißt, sein Helikopter (!) lande auf dem Fußball-Feld am Ende des Dorfes und einige wollen hingehen um ihn zu empfangen, alle die können mit Pferd.
Ich als kleine Pferde-Närrin bin begeistert und will mit, meine Mädchen haben allerdings Angst etwas zu verpassen und so bleiben wir in der Nähe der Schule, wo die Tribüne steht.

Wir treffen den Direktor des Colegios ("Oberschule") - zu Pferd, mit einem zweiten Pferd, das er führt. Er fragt mich, ob ich mitreiten will. Aus der Laune heraus sage ich zu und springe auf. Da von Evo noch keine Spur ist, werde ich schon nichts verpassen. Der Direktor, Don Carlos, behält noch eine Weile die Zügel, doch recht schnell übergibt er sie mir. So reiten wir zu zweit durchs Dorf auf der Suche nach weiteren Caballeros (Reitern). Wir kommen an seinem Haus vorbei, er geht seine Bolivien-Flagge holen und bringt mir noch eine zweite mit.
Immer mehr Leute schließen uns an, auch viele Junge aus dem Colegio. Langsam aber sicher merke ich, dass ich wohl dazu gehöre und als Flaggenträgerin mit Evo in Empfang nehmen werde.

Tja, da sitzt sie, die Toni, auf dem wunderschönen Choco - die Choca (helles Mädchen) auf dem Choco (helles Pferd).
Bei einer unserer Runden durch das Dorf auf der Suche nach noch ein paar mehr Reitern.
Der Plan ist, mit den Pferden eine Straßensperre zu machen, sodass Evo und seine Leute mit dem Auto nicht durchkommen und reiten müssen. - Es funktioniert, als Evo ankommt reiten wir alle zu einer ausgemachten Stelle und machen zu. Es sind ein bisschen mehr als zehn Pferde (wenn ich mich richtig erinnere).
Evo kommt mit seinem Auto an, steigt aus und ich sehe ihn nicht. Auf einmal reitet ein Mann in weißem Polo-Shirt und schwarzen Jeans winkend an mir vorbei, unsere Blicke treffen sich, er schaut kurz erstaunt und nickt mir zu. Ich glaube, das ist er.

Evo Morales, der Präsident von Bolivien.
Wir reiten zu der Straße mit der Tribüne, wo sich in der Zwischenzeit die Soldaten platziert haben. Diese sind nämlich nicht, wie vielleicht erwartet, für die Sicherheit des Präsidenten da, sondern nur um ein bisschen Show zu machen und ganz laut die Nationalhymne mitzusingen.

Die Uniform, die sich die Soldaten für Evos Ankunft angezogen haben, scheint mir auch nicht so einsatzfähig.
Wir, die Kavallerie, bleiben während der Hymne und einer ersten Rede da, doch dann bekommen alle Reiter "Durst" und es wird Richtung einer Chicheria (da wird Chicha, dieses Mais-Bier gemacht) geritten. Dort trinken alle ein oder zwei Becher Chicha und pünktlich zum Abschied von Evo sind wir wieder zurück zum Schauplatz.

Diesmal will Evo allerdings so schnell er kann zurück und somit nicht reiten (sein Minister kann nämlich nicht reiten und muss geführt werden, was die Geschwindigkeit leicht einschränkt). Die Kavallerie folgt dem Auto galoppierend. Ich zunächst nicht, da Don Carlos nämlich weiß, dass ich schon recht lange nicht mehr auf einem Pferd saß, hat er ein bisschen Angst um mich und reitet mit mir in langsamem Tempo hinterher. Doch ich habe keine Angst und will nichts verpassen, das sage ich ihm und er erlaubt mir, so schnell ich mir zutraue zu reiten. Ich treibe mein Pferd an und irgendwann fliege ich im Galopp mit der Fahne in der einen und den Zügeln in der anderen Hand durchs Dorf. Mein Pferd ist super und reagiert auf die sanftesten Kommandos, so gelange ich glücklich und unversehrt zum Fußball-Feld.

Gerade noch rechtzeitig, der Helikopter startet schon. Doch auch hier ist mein Pferd ganz ruhig und ich kann unbekümmert meine Flagge schwenken, als der Helikopter geräuschvoll abhebt.

Danach reiten wir zurück ins Dorf zum Haus von Don Carlos, allen voran eine vor Glück strahlende Antonia. Die anderen Reiter bleiben dort und gönnen sich noch einige Becher Chicha, ich klinke mich aus und gehe zum Mittagessen ins Hostel. Auch später gehe ich nicht zurück, denn Pferde ja, saufen eher nein, und das ist die Beschäftigung der anderen Reiter für den Nachmittag.

Ein ereignisreicher Tag, mein Gesicht hat mittags etwa die Farbe meines knallroten Hemdes (leider hatte ich morgens die Sonnencreme vergessen), doch ich bin unendlich glücklich mal wieder geritten zu sein - und natürlich war es auch spannend den Präsidenten aus einem halben Meter Entfernung zu sehen.

Mein Pferd, meine Flagge und ich - zumindest für den Tag.
Fotogen bin ich eben doch irgendwie nicht, aber naja, Mama, hier ist ein Bild, auf dem ich in die Kamera schaue.



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