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Mittwoch, 24. September 2014

Camioneta-Fahrten

Ja, also hier im Campo („auf dem Land“, wie Karachimayu) reist man anders. Das durfte ich ja schon bei meiner Hinreise nach Karachimayu kennenlernen. Mittlerweile habe ich noch etwas mehr Erfahrung.

Camioneta heißt kleines (der, die, das?) Camión, also ein kleiner Laster. Das kann für einen Kleintransporter, aber auch für einen Pick-Up stehen. Camioneta, Motorrad und Pferd sind hier die üblichen Reisemittel, wenn die Füße nicht mehr ausreichen.

Profe Anibal besitzt eine Camioneta und Profe Primo und Profe Fortunante Pick-Ups. Die Lehrer in Rodeito sind meistens mit dem Motorrad unterwegs, das hat bei uns aber niemand.

Ich reise immer mit Anibal und Yola, also mit der Camioneta. Das kann, je nach Anlass, unterschiedlich sein.

Bei Großveranstaltungen in der Nähe, wo mehrere Leute mit wollen, wie zum Beispiel als im benachbarten La Revuelta eine Fiesta war, wird die Camioneta so ein bisschen zum Bus.

Doña Leonarda, ihr Sohn Raúl und ich können uns die besten Plätze sichern, weil wir schon als erste dabei sind. Dann geht die Fahrt los. Es gibt nur eine Straße und an der stehen in einigen Abständen immer mal wieder Leute. Alle steigen auf. Sitzen kann niemand. Je nachdem, wie viele Leute mitwollen ist es voll oder sehr voll. Man steht aneinander gequetscht und versucht sich noch irgendwo festzuhalten. Die Fahrt ist nicht weniger holprig nur weil die Camioneta voll mit Menschen ist. Es wird sich unterhalten, so gut es geht (die Camioneta ist auch ganz schön laut) und am Ende zahlen die Leute, die mitgefahren sind Anibal ein bisschen was.

Mein Highlight – naja – war, als sonntags nach der Fiesta in La Revuelta (die Camioneta wieder voll mit Menschen) der Weg schlammig war, weil es geregnet hatte. Wir brauchten gut eine halbe Stunde, wenn nicht mehr, länger, weil wir immer mal wieder stecken blieben, zurückfahren mussten und versuchen mussten den Schlamm-Pfützen-Löchern auszuweichen. Nachträglich finde ich es eigentlich echt ziemlich lustig, in dem Moment fand ich die Situation allerdings eine Mischung aus beängstigend und total nervig. Es war ungefähr 2300 Uhr, kalt und alles war nass vom Regen, einschließlich mir, weshalb mir noch kälter war. Dazu kam dann noch, dass eine Frau meinte, ein Ferkel mitnehmen zu müssen, dass sich vor lauter Angst (es steckte in einer Tüte, aber den Geräuschen nach zu urteilen hatte es Angst) ein paar Mal meinte, sich erleichtern zu müssen – zu Regen, Nässe und Müdigkeit kam dann also auch noch ein sehr unangenehmer Geruch und die Aufgabe, nicht in Fäkalien zu treten. Aber so kann das hier nun einmal sein, und dann muss man da eben durch. Es gibt auch schlimmeres.

Die andere Verwendungsmöglichkeit der Camioneta ist schlicht als Laster. Nur eben auch mit Menschen als Last. Bei längeren Reisen, aber dann auch nur wenige Menschen.

Alles was transportiert werden muss (außer den Menschen) kommt in Säcke und wird aufgeladen. Reis, Nudeln, Kartoffeln, Aji und auch Hühner. Für die Passagiere wird ein Holzbrett eingelegt, auf das man sich setzen kann. Ich bevorzuge allerdings, mich auf eine Plane auf dem Boden oder auf die verschiedenen Säcke zu setzen. Schlafen geht auch, dann legt man sich eben irgendwie auf den Boden oder auf die Säcke – Kartoffeln als Kissen sind ein bisschen unangenehm, muss ich sagen.

So zu reisen ist mehr oder weniger angenehm. Es ist stark wetterabhängig. Meine erste Reise auf diese Weise war der reinste Horror. Es war das Wochenende der Entrada in Sucre.

Es hatte morgens und in der Nacht geregnet und war den ganzen Tag bewölkt. Für Bolivien heißt das: Es war fast so kalt, wie im deutschen Winter. Ich trug Leggins, Top, Shirt, Pulli, meine Winterjacke (Fleece-Regenjacken-Kombination), und einen Schal. Als ich mich aber so auf meinen Platz auf der Camioneta begab starrten mich alle Anwesenden entgeistert an. Ich wurde gefragt, ob ich nicht mehr zum Anziehen hätte, eine Mütze, was für die Hände, ob ich keine Decke hätte. Ich war leicht verwirrt. Yola brachte mir eine Filzdecke und ich nickte hochmotiviert, mir gehe es schon gut, das passt schon. Als wir dann losfuhren schauten mir Doña Leonarda und Doña Flora mit zweifelnden Blicken nach. Ich saß auf dem Holzbrett, wickelte meine Beine in die Decke und war sofort froh um sie – der Fahrtwind war eisig. In Rodeito stieg Profe Benito zu und Profe Mary meinte zu mir, ich solle mich ganz nah an die Kabine setzen, da wäre es wärmer. Wir legten also die Plane auf einen Sack und ich nahm in der Ecke zwischen Kabine und Camioneta-Wand Platz. Auch für diesen Tip war ich nach einer Weile sehr dankbar. Benito saß auf dem Brett und fror. Es wurde immer kälter. Irgendwann wickelte ich nicht mehr nur meine Beine ein, sondern mich komplett und bewegte mich nicht mehr. So ging es – bis mir irgendwann die Beine einschliefen und wehtaten. Als es dunkel wurde fand die Kälte noch einmal eine Steigerung, und als wir dann noch in die Berge fuhren, war es kaum noch auszuhalten. Ich gab meinen Platz auf und setzte mich neben dem Sack auf den Boden. Quetschte mich an den Motor, der die einzige winzige Wärmequelle war. Benito setzte sich neben mich, sodass wir uns auch noch gegenseitig gegen den Fahrtwind schützen. Irgendwann schlief ich einfach ein, was auch ganz okay war. Ich wachte einmal kurz für eine der atemberaubendsten Aussichten auf, die ich je gesehen hatte: Wir fuhren auf einer Bergkette über den Wolken, über uns der fast schwarze Himmel mit seinen abermillionen Sternen, die man hier alle sehen kann. Um uns sah man nichts außer Wolken und Nebel. Der Nachteil: Wolken sind feucht und kalt. Ich schlief schnell weiter. In Padilla verließ uns Benito, wir fuhren noch weiter bis Serrano. Sobald Benito weg war legte ich mich hin, rollte mich so klein ich konnte, nah an den Motor, fest in die Decke. Es war trotzdem kalt, aber ich schlief den Rest bis Serrano und begab mich dort zitternd und bibbernd in ein Bett, das mir Yola zeigte. Ich zog nichts aus außer den Schuhen und der Jacke und schlief im Schlafsack unter zwei Filzdecken.


Die ganze Fahrt von Karachimayu nach Serrano dauerte übrigens circa neun Stunden. Und von Serrano musste ich morgens noch weiter bis nach Sucre. Das aber in einer Flota, ohne eisigen Wind und nur ungefähr vier Stunden – es fühlte sich irgendwie ziemlich luxeriös an. Aber Rückenschmerzen hatte ich trotzdem zwei Tage.

So bin ich zum ersten Mal nach Serrano gereist. Ich sitze unter der gelb-braunen Decke, im schwarzen und durchsichtigen Beutel sind Ajo, sehr sehr scharfe Paprika; rot ist das Gepäck von Anibal und Yola und in dem weißen Beutel dahinter war ein Huhn dabei.

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